Atomenergie + Tar Sands

Aus Tar Sands-Kampagne
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Die energiehungrige Tar Sands-Industrie zu beliefern war ebenfalls Ausgangspunkt für den Anlauf in 2007 erste Atomkraftwerke in Alberta zu errichten. Zwei oder drei Geschäftsleute aus Calgary, die u.a. in der Ölindustrie viel Geld gemacht hatten, hatten sich schon 2006 überlegt, wie mensch sonst noch Profit machen könnte - und da sie von der segenbringenden Atomwirtschaft gehört hatten, dachten sie wohl, dass sie da ihr Kapital gewinnbringend anlegen könnten. Sie gründeten die Firma "Energy Alberta", deren Anliegen der Bau von Atomkraftwerken in dieser bisher atomindustriefreien Provinz Kanadas war. Mit diesem Firmennamen wurde der Eindruck erweckt, die Regierung Albertas sei an dem Unternehmen beteiligt. Diese Leute hatten keine Ahnung von Atomkraft - weder hinsichtlich Design und Sicherheitsaspekten, noch in Bezug auf die atomrechtlichen Verfahren. Der erste vorgeschlagene Standort hätte nicht den Kühlwasserbedarf decken können, aber es war auch völlig unklar für wen die Energie produziert werden sollte - für die Tar Sands-Industrie, Export, Haushalte? Diese Milliarden-Dollar-Investitionsidee wurde in die Welt gesetzt ohne Businessplan und Vorstellung was das bedeuten würde. So kam es auch, dass der erste Antrag von den Behörden als unzureichend abgewiesen wurde.

Energy Alberta wollte einen CANDU-6-Reaktor so umrüsten, dass er 75% Dampf und 25% Strom erzeugen würde, und damit sechs Millionen Kubikmeter Erdgas pro Tag ersetzen und täglich 175.000-200.000 Barrels Öl produziert werden könnten.

Die ersten Voschläge bewarben die AKW-Idee als Ersatz für die verbrauchten Vorräte an heimischem Erdgas, die von der Tar Sands-Industrie beansprucht wurden. Ein 2007er Bericht des "House of Commons Standing Committee on Natural Resources" skizzierte den Einsatz von 600 MW-Reaktoren, um die Verarbeitung von jeweils 60.000 Barrel Öl pro Tag zu versorgen. Basierend auf dem für 2015 prognostizierten Bedarf wurde so die Vision umrissen, 20 Großkraftwerke in einer Region der Größe der Schweiz zu konzentrieren. Diese sollten Prozesswärme (nicht Strom) für die Ölindustrie liefern, denn an Elektrizität bestand gar kein Bedarf. Auch die Verwendung der Atomkraftwerke zur Wasserstoffproduktion für das Upgrading wurde vorgeschlagen.

Neben der Konzentration so vieler Großkraftwerke in einer Region und die damit einhergehenden Kühlmittelengpässe war die örtliche Gebundenheit der Kraftwerke ein anderes Problem, denn die Abbaugebiete verlagern sich mit der Zeit, die AKW dagegen könnten nicht folgen. So wurde eine neue Idee entwickelt: der Bau von 120 kleineren Reaktoren mit bis zu 100 MW, die großflächig aufgestellt würden.

Es wurde schnell klar, dass auch dieses Konzept nicht durchdacht und unpraktikabel ist, schon allein weil es nirgendwo Reaktordesigns, wie sie für die Tar Sands-Industrie gebraucht würden, in der Praxis gibt und auch die Genehmigungsverfahren für solche unkonventionelle Atomkraftwerke nicht ausgelegt waren. Aber mit dieser Idee hatte die Atomindustrie einen Fuß in der Tür in Alberta, daher wurde das Vorhaben weiter verfochten.

Die Atomindustrie stieß aber nicht nur auf Widerstand in der Bevölkerung. Auch die Ölindustrie zeigte sich nicht sehr offen und herzlich gegenüber diesen Plänen. Da mag einerseits ein Konkurrenzneid mitgespielt haben, denn bisher ist die Ölindustrie unumstritten mächtigster Spieler in Alberta - was sich mit dem Einzug der Atomwirtschaft sicherlich verändern würde. Andererseits gab es aber auch Bedenken, weil mögliche Unfälle oder Anschläge auf die Atomanlagen die andere profitable Geldquelle ebenfalls vernichten könnten.

Nach ersten kritischen Vorträgen, die die Unsinnigkeit der Atomenergieversorgung der Tar Sands-Industrie aufzeigten, lenkten die Vertreter*innen der Atomindustrie schnell ein und die Idee der Dampferzeugung für die Ölwirtschaft schien vom Tisch. Stattdessen wurde nun zur konventionellen Stromerzeugung, nicht für die Tar Sands, sondern für normale Verbraucher*innen, umgeschwenkt. Der erste Anlauf für ein solches konventionelles AKW wurde in Whitecourt/Alberta gestartet.

Schon ziemlich bald gaben die Gründer*innen von Energy Alberta auf und verkauften ihr Unternehmen und ihre Pläne Ende 2007 an einen erfahrenen Atomkonzern, Bruce Power aus Ontario. Der ist Betreiber von mehreren AKW und hat das technische und personelle Know-How für ein erfolgversprechendes atomrechtliches Genehmigungsverfahren. Bruce Power investierte zuerst etwa 50 Millionen Kanadische Dollar in eine große PR-Kampagne für das AKW. In Ontario verfolgt Bruce Power ein interessantes Geschäftsmodell: die Reaktoren werden von den staatlichen Eigentümern gepachtet und auf das Profitmachen mit dem Stromverkauf fokussiert. Die Verantwortung und Kosten z.B. für die Entsorgung des Atommülls verbleibt beim Staat, interessiert Bruce Power also gar nicht. In Alberta wäre Bruce Power erstmals selbst Eigentümer eines AKW mit den damit verbundenen Pflichten geworden - ein Gebiet, auf dem auch dieses Unternehmen keine Erfahrung hat.

Der Widerstand gegen die Atomindustrie war in Alberta dann überraschend hoch. Die Lobby hatte nicht mit den Aktivist*innen und Fachleuten gerechnet, die - zufällig - in Alberta lebten und sofort mit Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit begannen, als die ersten Pläne bekannt wurden. Es gelang ihnen die Inkompetenz der Antragsteller deutlich zu machen und Proteste zu mobilisieren. So verlagerte sich die Zielrichtung der Atomunternehmen auf das benachbarte Saskatchewan, wo in großem Stil Uran abgebaut wird und eine naive Regierung von einer Rennaissance der Atomkraft träumte - einschließlich der Errichtung einer neuen Industrie für die Atomstromerzeugung, Wiederaufbereitung, Atommüllentsorgung, Uranabbau und allem was dazu gehört. Inzwischen hat die Lobby Alberta aufgegeben und konzentriert sich umso mehr auf Saskatchewan.

Somit ist die absurde Idee der Atomenergieversorgung der Tar Sands - vorerst vom Tisch. Aber sie war Auslöser einer Atomkampagne erst in Alberta und dann in Saskatchewan, die noch Folgen haben kann.

Update: Atomkraft+Tar Sands

Noch im Herbst 2013 hatten resümiert, dass nach mehreren erfolglosen, auf viele Jahre gestreckten Anläufen die Atomkraft beim Abbau der Tar Sands ins Spiel zu bringen vom Tisch sei. "Vorerst" war die vorsichtige Formulierung - zu Recht, wie sich an den Äußerungen der kanadischen Atomlobby zeigt. Im Canadian Nuclear Factbook preist die Lobbyorganisation der kanadischen Atomindustrie "Kleine Modulare Reaktoren" (SMR - Small Modular Reactors) als Option an, den ökologischen Fußabdruck der Tar Sands-Industrie Albertas durch Bereitstellung von Prozesswärme anstelle der praktizierten Verbrennung fossiler Brennstoffe zu reduzieren[1]. - Also das Konzept, von dem sich die Industrie scheinbar schon verabschiedet hatte. Ob das wieder nur die Phantasien abgehobener Lobbyist*innen ist, oder tatsächlich Aktivitäten zur Umsetzung dieser Ideen eingeleitet werden, muss sich noch zeigen.


  1. Canadian Nuclear Association: The Canadian Nuclear Factbook 2013 (page 38)


Diese Seite ist ein Auszug einer Publikation aus unserer Kampagne im grünen blatt. Unter der Überschrift "Tar Sands": Nachhaltige Zerstörung von Urwäldern und Feuchtgebieten, Enteignung indigener Menschen und größter Einzelverursacher des Treibhauseffekts erscheint dort seit Anfang 2013 eine fortlaufende Artikelserie mit Hintergrundinformationen zu den Tar Sands.

Dieser Auszug ist Teil 2+5 der Artikelreihe entnommen. Weiterverwendung und Verbreitung unter Angabe der Originalquelle (grünes blatt) oder unserer Kampagne ist erwünscht!