In Situ-Abbau
In Situ-Verfahren sind eine alternative Abbaumethode zu herkömmlichen Bergwerken, wie den bei den Athabasca Tar Sands anzutreffenden Tagebauen. "In Situ" bedeutet gewissermaßen "an Ort und Stelle", und bezieht sich darauf, dass der Rohstoff, in diesem Fall die Teersande, direkt beim Abbau extrahiert wird. Diese Verfahren werden vor allem bei tiefer gelegenen Lagerstätten angewandt, die nur mit hohem Aufwand mittels Bergwerken zu nutzen wären. Die Tar Sands-Regionen Cold Lake und Peace River werden ausschließlich, die Athabasca Tar Sands zu 90%, mit dieser Technologie ausgebeutet. Schätzungsweise 138.000 km² (die Fläche Floridas) der Tar Sands-Gebiete Albertas - etwa das 50fache der im Tagebau abbaubaren Fläche - beherbergen "tiefe" Vorkommen, was 21 % von Alberta ausmacht[1]. Davon sind bislang 35,680 km² (vergleichbar der Fläche Vancouver Islands) vom Staat an die Industrie verpachtet worden[1]. Frühe Tar Sands-Betriebe benutzten Kabelbohranlagen, später waren Rotarybohrgeräte in Verwendung, um die Lagerstätten zu erkunden und zu vermessen.
Die Ausbeutung tiefer Tar Sands-Vorkommen erfordert ein engmaschiges Netz aus Straßen, Pipelines, Bohrfeldern und Produktionsanlagen im Borealen Wald. Durchschnittlich werden 8,3 % des Waldes per Kahlschlag beseitigt (bezogen auf die bisher an die Industrie verpachteten Flächen macht das 2.960 km²) sowie 3,2 km Straßen pro Quadratkilometer (entsprechend 9.472 km bei den aktuellen Flächen) angelegt. Sollte die Gesamtfläche der tiefer gelegenen Tar Sands-Vorkommen ausgebeutet werden, würden demnach 11.454 km² Boreale Wälder abgeholzt und insgesamt 441.600 km Straßen, Pipelines und Hochspannungsleitungen errichtet werden.[1] - Auch im In Situ-Verfahren, wie bei den Tagebau-Anlagen, findet massive Fragmentieren, die Zersiedelung einst zusammenhängender natürlicher Waldgebiete, statt. Die Oberflächen-Beeinträchtigung durch In Situ-Tar Sands-Projekte ist um ein Vielfaches größer als bei konventionellen Öl- oder Gasfeldern[1].
Der Rückgang der Waldkaribu-Population in einigen Gebieten Nordost-Albertas um 50 % wird den zusammenspielenden Wirkungen aus dem Ausbau der Naturgebiete, was die In Situ-Anlagen mit einschließt, zugesprochen. Unzählige wissenschaftliche Studien sagen voraus, dass das Karibu bei Realisierung der In Situ-Ausbaupläne der Tar Sands-Industrie in dieser Region ausgerottet werden wird. Forschungen in der Provinz Alberta haben außerdem ergeben, dass viele Pelztiere und einige Waldvogelarten in Folge der industriellen Umgestaltung der Borealen Wälder in ihren Beständen zurück gehen. Auf regionaler Ebene wird prognostiziert, dass den aktuellen Ausbauplänen folgend beispielsweise die Populationen von Mardern, Fischermarder, Luchs, Grünwaldsänger, Saftlecker und Andenbaumläufer abnehmen werden.[1]
Es gibt verschiedene In Situ-Varianten. Die beiden wichtigsten sind CSS (Cyclic Steam Stimulation - Zyklische Dampfstimulation) und SAGD[1] (Steam Assisted Gravity Drainage - Dampfunterstützte Schwerkraftdrainage). Bei ersterer wird Dampf über Tage oder Wochen durch eine einzelne Bohrung in die Lagerstätte gepresst und anschließend auf selbem Weg das somit mobilisierte Bitumen abgepumpt. Im SAGD-Verfahren werden zwei Bohrungen angesetzt, von denen eine der Einführung von Wasserdampf zur Erhitzung und Mobilisierung des Bitumens dient, und die zweite, tiefer gelegene, den nach unten verdrängten Rohstoff absaugt[1].[2] Während bei Lagerstätten mit hoher vertikaler Durchlässigkeit die Gravitation ausnutzende Verfahren wie SAGD[1] eingesetzt werden können, kommt die CSS-Technologie eher bei höherer horizontaler Durchlässigkeit zum Einsatz, die Hochdruck-Wasserdampf erfordert.
Die Gesamtmengen von durch In Situ-Technologien gewonnenem Bitumen stehen heutzutage im Fördervolumen mit den Produktionsmengen im Tagebau auf gleicher Höhe. Zukünftig soll die Produktion mit diesen Verfahren den herkömmlichen Abbau noch überflügeln. Die beiden wichtigsten Herausforderungen für den Einsatz von In Situ-Verfahren sind die Reduzierung der Viskosität des Bitumens (Mobilisierung) und die Bergung selbigens. Unbehandeltes Bitumen fließt nicht. Es ist zu zäh zum Pumpen, für Bohrlöcher und Pipelines. Dieses Problem wird durch Hitze - in der Regel Wasserdampf - gelöst, die das Bitumen mobilisiert. Teils werden dem Dampf Lösemittel beigefügt, um die Zähigkeit des Bitumens zu verringern.
In Situ-Verfahren vs. konventionelle Ölpumpen
Diese Abbauverfahren, bei denen Bohrungen vorgenommen und Rohstoffe aus der Tiefe zunächst "mobilisiert" und dann an die Oberfläche gepumpt werden, kommen nicht nur bei den Tar Sands zum Einsatz, sondern auch in anderen Bergbau-Bereichen. Von der konventionellen Ölgewinnung unterscheidet sich das Verfahren ganz wesentlich, auch wenn es auf den ersten Blick einige Ähnlichkeiten gibt.
Konventionelles Öl hat eine viel geringere Viskosität als die Teersande und ist dadurch deutlich fließfähiger als das Bitumen aus den Tar Sands. Bei einer konventionellen Öllagerstätte wird das Öl durch Energien aus der Gesteinsformation, z.B. Wasserdruck oder Erdgas, an die Oberfläche gepresst. Mit der Zeit verringert sich dieser Druck natürlich, dann kommen Pumpen und fortgeschrittene Gewinnungstechnologien zum Einsatz, um das Lager weitmöglichst auszubeuten.
Im Gegensatz dazu führen die hohe Viskosität des Bitumens im Zusammenspiel mit den niedrigen Temperaturen in der Lagerstätte dazu, dass der Rohstoff nicht fließt. Dadurch wird es schwierig die Tar Sands aus den Tiefen durch Bohrlöcher an die Oberfläche zu befördern. Die In Situ-Technologien brauchen daher etwas, um das zähe Bitumen zu mobilisieren - in der Regel geschieht dies durch Einführung von Hitze in die Formationen. Meist wird dazu oberirdisch Wasserdampf erzeugt - unter Verbrennung von Erdgas - und unter hohem Druck in den Untergrund gepresst. Die Hitze verflüssigt das Bitumen, reduziert seine Viskosität und macht ein Abpumpen erst möglich. Im Gegensatz zur konventionellen Erdölgewinnung erfordern In Situ-Tar Sands-Verfahren also die zusätzliche Verbrennung fossiler Rohstoffe - die sie eigentlich einsparen sollen.
Diese Seite ist ein Auszug einer Publikation aus unserer Kampagne im grünen blatt. Unter der Überschrift "Tar Sands": Nachhaltige Zerstörung von Urwäldern und Feuchtgebieten, Enteignung indigener Menschen und größter Einzelverursacher des Treibhauseffekts erscheint dort seit Anfang 2013 eine fortlaufende Artikelserie mit Hintergrundinformationen zu den Tar Sands.
Dieser Auszug ist Teil 5+6 der Artikelreihe entnommen. Weiterverwendung und Verbreitung unter Angabe der Originalquelle (grünes blatt) oder unserer Kampagne ist erwünscht!