Renaturierung

Aus Tar Sands-Kampagne
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Das kanadische Gesetz schreibt vor, dass die Industrie nach der Ausbeutung des Bodens den ursprünglichen Naturzustand wiederherstellen muss[1]. In Kanada wird das als "Reclamation" bezeichnet. Die gängige Praxis ist allerdings keinesfalls, dass die zerstörten Biotope und Ökosysteme wieder hergestellt würden - das wäre wohl auch kaum möglich. Vielmehr scheint es zu genügen, wenn nach dem Bergbau alles wieder "grün" ist. D.h. es werden ein paar Bäume angepflanzt, teilweise Gras ausgesät. Weder sind die alten Lebensgemeinschaften nach dem industriellen Eingriff wieder da, noch ist überhaupt irgendeine ökologische Vielfalt gegeben. In der Regel handelt es sich um Monokulturen mit wenigen Arten und Altersklassen-Wälder ohne Diversität.

Die wenigen "Renaturierungs"-Projekte der Tar Sands-Industrie werden werbewirksam präsentiert und sollen suggerieren, dass nach der Zerstörung der Ökosysteme und Rohstoffgewinnung alles wieder gut ist. Beispiele hierfür sind der Crane Lake, der wie ein Naturlehrpfad hergerichtet ist, oder der Bison View Point, wo Tourist*innen "Büffel" in einer Graslandschaft vorgeführt werden. Beides sieht auf den ersten Blick nett aus, bei näherer Betrachtung wird aber schnell offenkundig, dass keinerlei ökologische Qualität besteht.

Der erste Eindruck am Crane Lake ist blühende Natur - ein See, diverse Wasservögel, ein Birkenwäldchen, Nadelwald, und ein Wanderweg mit vielen Tafeln führt einmal rings herum. Wer sich mit Ökologie nicht auskennt, wird nicht bemerken, dass die Artenvielfalt beschränkt, der Wald ein gleichaltriger Forst ist und dass die standorttypischen Arten fehlen. Es ist eine einfache Kulturlandschaft, wie sie für einen Park geeignet wäre. Dieses (von der Tar Sands-Lobby) hoch gepriesene Renaturierungs-Vorzeigeprojekt hat dagegen rein gar nichts von dem wieder hergestellt, was dort einst war. Und dabei wäre es hier sehr leicht gewesen, verglichen mit den Altlasten, an die sich - in diesem Falle seitens Suncors - noch nicht herangetraut wurde. Denn unter dem grünen Mäntelchen liegt "lediglich" ein Tagebau, kein Tailing Pond...

Im Interview mit dem Chief der indigenen Community, die hier für die Tar Sands-Industrie gearbeitet hat, erklärte dieser, dass sie vorgeschlagen hatten die standorttypischen Arten anzupflanzen und auch eine höhere Zahl von Arten zu verwenden. - Aber selbst diese kleine Verbesserung war der Industrie trotz Modellcharakter des Standorts zu teuer und aufwendig.

Was dann eigentlich auch unwissenden Touristen beim Besuch des Crane Lake auffallen müsste, ist der Gestank nach Petroleum, der überall vorherrscht, und leicht Kopfschmerzen verursacht. Außerdem sind in kurzen Abständen die Propanexplosionen zu hören, die die Wasservögel vom verderblichen Landen in den Tailing Ponds abhalten sollen - was oft nicht funktioniert. Das ganze ist so überhaupt nicht "erholsam" - entgegen dem ersten Eindruck. Einige Hochstände im Wald rund um den Crane Lake ermöglichen nicht nur den Blick über die Reclamation-Fläche, sondern auch auf die umgrenzenden Gebiete. Wohin mensch blickt sind da Anlagen der Ölindustrie zu sehen. Selbst mit seinen Mängeln ist Crane Lake doch eine winzige Insel in einer viel kaputteren Umgebung...

Wenn ökologisch nicht versierte Leute das Wort "Renaturierung" (englisch: "reclamation") hören, muss das eigentlich ganz gut klingen - wie "Natur", die wiederhergestellt wird. Als ob ein einmal zerstörtes Ökosystem einfach so wiederhergestellt werden könnte. Ökosysteme entwickeln sich über hunderte, tausende und mehr Jahre, die Lebensgemeinschaften unzähliger Pflanzen und Tiere balancieren sich aus, Symbiosen entstehen, Konkurrenzdruck zwischen unterschiedlichen Arten mit ähnlichen Bedürfnissen, oder die einander als Nahrung nutzen, führen zu ausgefeilten Populationszyklen. Das alles im Kontext der natürlichen Rahmenbedingungen, wie Bodenart, Feuchtigkeit, lokalem Klima etc. Solch langdauernde und komplexe Prozesse können nicht künstlich von einem Tag auf den anderen (oder auch innerhalb weniger Jahre) ersetzt werden. Renaturierung früher vorhandener, aber durch menschlichen Eingriff zerstörter Ökosysteme kann im besten Fall etwas schaffen, das oberflächlich nach Natur aussieht. Es ist die berühmte "grüne Wiese", die große Industrieanlagen nach ihrem Rückbau schaffen wollen. Etwas künstliches, im Vergleich zum vorherigen Zustand sehr einfaches, grün angestrichenes. Unter der Oberfläche funktioniert diese "Natur" noch nicht - wie das Ganze nach einigen Jahrzehnten aussehen wird, wenn das Kunstwerk sich selbst überlassen wird, ist offen.

Natürlicherweise besteht der "Athabasca Boreal Forest" zu über 60 % aus Feuchtgebieten, die mehrere wichtige ökologische Funktionen innehaben, einschließlich Flutreduzierung, Erosionsverhinderung, Wasserfilterung, Auffüllen des Grundwasserspiegels und Kohlenstoffbindung. Das Pembina Institut geht davon aus, dass renaturierte Tar Sands-Landschaften wahrscheinlich von sogenannten End Pit Lakes (EPL - siehe weiter unten im Text) und Hochlandwäldern dominiert sein werden, jedoch nicht von den Torfmooren und altbestehenden Wäldern, die für die natürlichen Landschaften vor der Ausbeutung der Tar Sands charakterisierend waren. Auch wenn Forschungen sich mit der Möglichkeit einer Torfmoor-Wiederherstellung befassen, konnte bisher nicht nachgewiesen werden, dass eine erfolgreiche Renaturierung dieser Ökosysteme in der borealen Region Athabascas funktioniert.[2]

Einem 2008er Bericht des Institutes zufolge akzeptieren die Behörden zwei primäre Renaturierungsansätze: End Pit Lakes und die Verarbeitung verfestigter Tailings in die renaturierte Landschaft. Beide Verfahren sind voller Risiken, wobei die EPL die billigste Variante ist. Dieses Konzept sieht folgendermaßen aus: Zum Abschluss des Tar Sands-Bergbaus wird das letzte Tagebau-Loch zum dauerhaften Lager für die Bergbauabfälle, einschließlich des Inhalts der berüchtigten Zwischenlager-Seen, die als Tailings Ponds bekannt sind. Diese toxischen Ablagerungen werden in einer Tiefe von 65 bis 100 Metern mit frischem Wasser aufgefüllt, das im wesentlichen aus dem Athabasca River kommt.[2] Da davon ausgegangen wird, dass die oberen Wasserschichten des Sees sich nicht mit den tieferen toxischen Schichten vermischen werden, wird gehofft, dass der EPL letztendlich ein lebendiges, selbsterhaltendes gesundes aquatisches Ökosystem wird. EPLs bleiben weiterhin eine Option: Für die nächsten 60 Jahre sind in der Athabasca-Region mehr als 30[3] derartige Vorhaben geplant[2].[4] Bis heute existiert kein einziges Beispiel dafür, dass End Pit Lakes als dauerhaft sichere Form der Renaturierung funktionieren[2].

Regulierung

Die zuständige Behörde für Renaturierungen im Bereich der Tar Sands-Industrie ist seit März 2014 Alberta Energy Regulator (AER), vorher lag dies im Verantwortungsbereich von Alberta Environment and Sustainable Resource Development (ESRD).[5] In der "Conservation and Reclamation Regulation" wird als Zweck die "Rückführung eines spezifizierten Areals in eine äquivalente Bodenleistungsfähigkeit" definiert[6]. So unkonkret diese Aussage ist, so bleibt sie doch hinsichtlich ihres Zwecks das konkreteste in dieser Vorschrift - ansonsten werden seitenlang Begriffe definiert, Ausnahmen formuliert und die Möglichkeiten von Inspektionen von Renaturierungsprojekten eingegrenzt. Kriterien werden nicht konkret aufgestellt, sondern anderen Instanzen überlassen. Dafür wird der Industrie ermöglicht, ein Zertifikat für Vorhaben nach dieser Vorschrift zu erlangen. Einzig positiv erscheint die Verpflichtung der Ölindustrie Sicherheiten in einen Fonds der Regierung einzuzahlen, damit die Pflicht zur Beseitigung der industriellen Folgen der Tar Sands-Wirtschaft nicht am Bankrott eines Unternehmens zum Abschluss der Ausbeutung der Bodenschätze scheitert. - Verglichen mit den harmlosen Rückstellungsregelungen für die Entsorgung des Atommülls deutscher Energiekonzerne scheint die kanadische Regulierung geradezu fortschrittlich.

Doch auch hier gibt es Kritik: die gesetzlich vorgeschriebene Einzahlung in Höhe der zu erwartenden Kosten ist nicht wirklich abschätzbar, da sich die Forschung im Gebiet der Renaturierung noch in den Anfängen befindet.[4] Bedrohliche Lücken bestehen außerdem darin, dass Bergbauunternehmen als "Pfand" anstelle direkter Einzahlung in den Fonds bisher ungenutzte Tar Sands-Lagerstätten anbieten können, und dass Sicherheiten nur für die in den letzten sechs Jahren aktiv betriebenen Anlagen geleistet werden müssen. Daneben lagen 2011 dem "Mine Financial Security Program" zufolge nur 12.756 Kanadische Dollar pro Hektar als Sicherheiten vor, während den unvollständig veröffentlichten bisherigen Zahlen folgend derzeit 220.000-320.000 Dollar Kosten für jeden Hektar renaturierten Landes entstehen. - Die realen Kosten sind also mindestens 25fach unterversichert.[2]

Im "Alberta’s Environmental Protection and Enhancement Act" (EPEA) wird die Definition von Renaturierung präzisiert: "äquivalente Bodenleistungsfähigkeit" meint "die Fähigkeit des Landes nach Konservierung und Renaturierung verschiedene Landnutzungen zu unterstützen, die den Fähigkeiten vergleichbar sind, die vor der Durchführung der Aktivität auf dem Land bestanden, was nicht bedeutet, dass die individuellen Landnutzungen identisch sein müssen". Schade nur, dass es weiterhin vage bleibt. Dass es "nicht identisch mit dem sein wird, was es zuvor war", betont auch Kem Singh von Alberta Environment.[4]

Die Interpretation der Pflicht zur Renaturierung in der Praxis zeigt, wie inhaltsleer der Begriff der "Nachhaltigkeit" ist - Renaturierung wird hier zur "Umwandlung des betroffenen Areals in eine 'nachhaltige Landschaft'"[7]. Das mag für Leute außerhalb des Nachhaltigkeit-Diskurses nett klingen, sagt aber eigentlich gar nichts. Und so verwendet es auch die Industrie, die sich mit ihren nachhaltigen "grünen Wiesen" ein Öko-Image zu verschaffen sucht. Die kanadische Regierung setzt noch einen drauf, wenn sie in einem Prospekt die Tar Sands bewirbt und der Wirklichkeit zutrotz behauptet: "Renaturierung bedeutet, dass das Land in ein sich selbsterhaltendes Boreales Wald-Ökosystem mit heimischer Vegetation und Wildtieren zurückverwandelt wird"[8].

Eines der Dokumente, die die weiteren Zielsetzungen der Renaturierung von Tar Sands-Industrieflächen umreisst, sind die "Guidelines for Reclamation to Forest Vegetation in the Athabasca Oil Sands Region". Hier werden zwei Hauptziele benannt - eines ist die Schaffung kommerziell nutzbaren Forstes, das andere die Herstellung von Lebensraum für Wildtiere. Ein weiteres Dokument, "Land Capability Classification for Forest Ecosystems in the Oil Sands" (LCCS), macht allerdings deutlich, dass Priorität auf Forstwirtschaft gelegt wird. 2008 kommentiert dies das Pembina Institute in seinem Bericht "Fact or Fiction: Oil Sands Reclamation": "LCCS impliziert indirekt, dass wirtschaftliche bzw. Produktivitätsfaktoren die Renaturierungs-Ziellandschaft diktieren - ein forstwirtschaftliches Ökosystem. Die Anwendung der LCCS-Land- und Bodenkategorien verringert den Wert von Feuchtgebieten und führt zu einem verdrehten Zustand, wo Ölsand-Befürworter behaupten, dass es nach der Renaturierung zu einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Böden käme".[4]


  1. http://www.oilsandstoday.ca/topics/RestorLand/Pages/default.aspx - gesichtet 14. Februar 2015
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 http://www.pembina.org/oil-sands/os101/reclamation - gesichtet 14. Februar 2015
  3. Joyce Hildebrand spricht von "mindestens 25" geplanten EPL
    Joyce Hildebrand: Reclamation Illusions in Oil Sands Country; Alberta Wilderness Association; Juni 2008
    http://albertawilderness.ca/download/file/fid/1210 - gesichtet 14. Februar 2015
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 Joyce Hildebrand: Reclamation Illusions in Oil Sands Country; Alberta Wilderness Association; Juni 2008
    http://albertawilderness.ca/download/file/fid/1210 - gesichtet 14. Februar 2015
  5. http://www.aer.ca/abandonment-and-reclamation/reclamation-remediation - gesichtet 14. Februar 2015
  6. http://www.qp.alberta.ca/documents/Regs/1993_115.pdf - gesichtet 14. Februar 2015
  7. http://www.capp.ca/environmentCommunity/land/Pages/RestoringLand.aspx - gesichtet 14. Februar 2015
  8. http://www.nrcan.gc.ca/sites/www.nrcan.gc.ca/files/energy/files/12-0608-Oil-Sands-Land-Use-and-Reclamation-eng.pdf - gesichtet 14. Februar 2015


Diese Seite ist ein Auszug einer Publikation aus unserer Kampagne im grünen blatt. Unter der Überschrift "Tar Sands": Nachhaltige Zerstörung von Urwäldern und Feuchtgebieten, Enteignung indigener Menschen und größter Einzelverursacher des Treibhauseffekts erscheint dort seit Anfang 2013 eine fortlaufende Artikelserie mit Hintergrundinformationen zu den Tar Sands.

Dieser Auszug ist Teil 6+7 der Artikelreihe entnommen. Weiterverwendung und Verbreitung unter Angabe der Originalquelle (grünes blatt) oder unserer Kampagne ist erwünscht!